Claus Kühnl
* 1957

V I S I O N   (1982) 
für 20 Solostreicher



Das Werk wurde 1982 für die technischen Möglichkeiten eines Laienorchesters geschrieben, ein Jahr später nochmals tiefgreifend revidiert während meines Parisaufenthaltes. Zwei Sentenzen hatte ich in großen Lettern an eine Wand meines dortigen Ateliers geschrieben, die für mich wie ein Motto über jener Zeit zu stehen schienen:

...denn einmal waren wir, glaube ich, doch alle beisammen...
(Hölderlin)

und die berühmten Nietzsche-Worte:

...Denn jede Lust
will Ewigkeit,
will tiefe, tiefe
Ewigkeit...

Eines Tages entstand in mir ein sehr heftiges inneres Bild, dem ich sogleich die Niederschrift der Neufassung meines Streicherstückes folgen ließ:
Die Seelen der Menschen hängen wie eine große Traube zusammen: ein Ton, der zu einem flutenden Klang anschwillt, Raum und Zeit scheinbar auflösend. Der Klang zieht sich wieder in den Ausgangston zusammen, es folgt eine Parenthese, ein Zwischenstadium, bevor sich eine Melodie auszubreiten beginnt, die von großer existentieller Traurigkeit durchtränkt ist. Dreimal hebt der Gesang von neuem an (über einem gleichbleibendem Baß: formal also eine Art Passacaglia), beim dritten Mal als Septkanon. Motivische Abspaltungen von dieser Melodie verdichten das lineare Satzbild unmerklich zu dem flutenden Klang des Anfangs, der alle verwendeten Partikel in einen lustvollen Sog (mehrere Naturtonklänge) aufzunehmen scheint.

(Claus Kühnl)